DIE ENDLICHKEIT DER FREIHEIT

DDR/D 1990, R: Heinz Peter Schwerfel, K: Christian Lehmann, Mitwirkende: Hans Haacke, Heiner Müller, Mario Merz, Rebecca Horn, Janis Kounellis, Ilya Kabakov, Christian Boltanski, Via Lewandowsky, Barbara Bloom, Raffael Rheinsberg u.a. 75′

Die Endlichkeit der Freiheit geht zurück auf eine Idee von Rebecca Horn, Jannis Kounellis, und Heiner Müller. Die Ausstellung wurde von Wulf Herzogenrath, Joachim Sartorius und Christoph Tannert vom 1. September bis 7. Oktober 1990 in Berlin Ost und West mit nachfolgenden Künstlern realisiert: Giovanni Anselmo, Barbara Bloom, Christian Boltanski, Hans Haacke, Rebecca Horn, Ilya Kabakov, Jannis Kounellis, Via Lewandowsky, Mario Merz, Raffael Rheinsberg, Krzysztof Wodiczko

Der gleichnamige Filmessay von Heinz-Peter Schwerfel entstand in dreiwöchiger Drehzeit während der Aufbauphase der Ausstellung und versucht, die eigens für Berlin konzipierten Werke mit filmischen Mitteln weiterzudenken und in den geschichtlichen Kontext Berlins zu stellen. Vor dem Hintergrund suggestiver Gegenwartsbilder und selten gezeigter Aufnahmen aus den DEFA-Archiven beschreibt der Film Arbeiten von Hans Haacke, der einen ehemaligen Wachturm an der Zonengrenze mit einem Mercedes-Stern schmückt, Mario Merz, der S-Bahnhöfe in Ost und West mit Neon beschriftet, Janis Kounellis, der frühe Industriearchitektur wiederbelebt, Barbara Bloom, die das Thema Zwilling im Ostberliner Naturkundemuseum und in der Charlottenburger Gipswerkstatt inszeniert, Christian Boltanski, der an ein unter Bomben verschwundenes Haus des ehemaligen Judenviertels erinnert, oder für Ilya Kabakov, der mitten auf dem Potsdamer Platz klaustrophobische Tunnelgänge erstellt.


»Die Ausstellung Die Endlichkeit der Freiheit wurde geplant vor dem Fall der Mauer, als die Mauer noch stand. Sie wurde realisiert nach dem Fall der Mauer. Die Idee war ursprünglich Gemeinsames zu finden, Verschiedenheiten, aber auch Verbindungen herzustellen zwischen den verschiedenen Teilen, nicht nur Berlins. Und nach dem Fall der Mauer war der Akzent plötzlich eher auf dem trennenden, auf dem was sehr schwer zu vereinigen ist und was wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren gar nicht zusammen geht.«

[…]

»Ich erinnere mich an meine erste U-Bahn-Fahrt vom Bahnhof Friedrichstraße nach West-Berlin. Es gab da ungefähr zwei oder drei tote Bahnhöfe, in einem Halblicht, graues Licht, man sah Bahnpolizisten, sonst nichts. Die Züge fuhren durch. Nach der sogenannten Wende in der DDR, gab es an sehr vielen Hauswänden hier Graffitis, da stand: »Freiheit statt Sozialismus!« Inzwischen sieht man an vielen Hauswänden schon eine neue Schrift die sagt: »Freiheit statt Kapitalismus!« Der Titel unseres Abituraufsatzes, ein paar Jahre nach dem Krieg, war ein Satz von Georg Herwegh: »Die Freiheit der Welt ist unteilbar.« Das hat mit dem Titel der Ausstellung zu tun Die Endlichkeit der Freiheit. Die Endlichkeit definiert sich auf der Unfreiheit der anderen, auf den die Freiheit der Minoritäten beruht. Und wenn ich diese Bilder sehe, dann fällt mir ein,
dass die Alternative Sozialismus oder Barbarei inzwischen abgelöst ist oder zunehmend abgelöst wird von der Alternative Untergang oder Barbarei. Es gibt einen schönen Satz von Herder, am Schluss eines Textes, über den Untergang des römischen Imperiums: »Dann war da nur noch das dunkle Getümmel ziehender Barbaren. Die Barbaren sind wir alle.«

Heiner Müller 1990

Quelle: Die Endlichkeit der Freiheit, DDR/D 1990, R: Heinz Peter Schwerfel, 1990

Transkript: Nino Selmikeit