PRESSE

TIP Berlin vom 29.10.2014

„Borderland Berlin“ im Zeughauskino

Die Reihe „Borderland Berlin“ blickt zurück auf die Auswirkungen der Berliner Mauer

Die Berliner Mauer gab es bekanntlich zweimal: einmal quer durch die Stadt und einmal in den Köpfen. Die erste Mauer stand lang und fiel schnell, die zweite Mauer hielt sich länger. Man kann deswegen eine Filmreihe über das geteilte Berlin nicht machen, ohne sowohl die eine wie die andere Mauer zu berücksichtigen. Im Stadtbild ergab der konkrete Mauerverlauf viele eigentümliche, teils fast komische Situationen (worüber sich auch so mancher populäre Film später lustig gemacht hat, siehe „Sonnenallee“). Einige der besten Dokumente über den Verlauf der Mauer und ihre Wirkung in der Anatomie der Stadt finden sich in Spielfilmen. Zum Beispiel in dem feministischen Klassiker „Redupers – Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ von Helke Sander aus dem Jahr 1978, in dem die Spannung zwischen den Geschlechtern und auch allgemein eine auf Gegensätzen beruhende Gesellschaft die besondere Situation einer Frontstadt zwischen den Systemen hervorheben. In der Filmschau „Borderland Berlin“, die das Zeughaus zum 25-jährigen Jubiläum der Wende ausrichtet, ist der Film von Helke Sander ein zentrales Dokument, dem auf der anderen Seite des historischen Umbruchs der Dokumentarfilm „November Days“ von Marcel Ophüls entspricht, eine Ortsbesichtigung in der nun offenen Stadt, in der die Menschen sich gleichsam immer noch die Augen reiben. Das einmal mehr exzellent kuratierte Programm versammelt Beiträge aus der DDR und aus dem Westen, dazu neuere Arbeiten aus dem Bereich der historischen Aufarbeitung. Ergänzt wird die Reihe durch Amateuraufnahmen, experimentelle Mauerperspektiven und – auch dort wurde eifrig gedreht – Aufnahmen aus dem militärischen Bereich.

Text: Bert Rebhandl

http://www.tip-berlin.de/kino-und-film/borderland-berlin-im-zeughauskino

TAZ vom 30.10.2014

Blicke ins Grenzland
MAUERFILM Die Filmreihe Borderland bezieht diverse Posten um die ehemalige deutsch-deutsche Grenze. Im Programm sind auch sehr spezielle Dokumente.

Der Katalog zur im Zeughauskino veranstalteten Filmreihe „Borderland. Audiovisuelle Quellen zur Berliner Mauer“ (31. 10.-9. 11.) enthält neben so mancher Entdeckung auch einen Artikel von Florian Wüst. In ihm nähert sich Wüst der Thematik „Mauer“, indem er eine Person sprechen lässt, die von ihr eigentlich gar nicht direkt betroffen war: Tilda Swinton. Swinton sagt, während sie in Cynthia Beatts Film „Cycling the Frame“ (1988) eines schönen Sommertages mit ihrem Fahrrad diese Mauer abfährt: „It’s also so bizarre. That West Berliners seem to be so studiously ignoring the Wall. It’s like living on an island. And ignoring the sea. Sort of tabu subject. And so the enormous attention that is given to the Wall by the men in the towers in the East. Seems to be an unbalanced thing.“ „Schandmauer“, „antifaschistischer Schutzwall“, „deutsche Klagemauer“ – die Mauer gibt es nicht. Jan Henselder, der das hervorragende Programm zu „Borderland“ zusammengetragen hat, macht genau diesen Eindruck stark, indem er verschiedene Posten um die Mauer bezieht. Das Bild, das dabei entsteht, ist ein überaus diverses.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Eröffnungsabend von „Borderland“: Auf „Der goldene Oktober“ (BRD 1985) von Knut Hoffmeister, in dem unter anderem von einem Rolls Royce aus über die Länge der Mauer sinniert wird, folgt „Berlin Milieu – Ackerstraße“ (DDR 1973), produziert unter der Redaktion von Veronika Otten. Letzterer Hinweis ist wichtig, denn bei „Berlin Milieu – Ackerstraße“ handelt es sich um ein unfassbares Filmzeugnis, das unter recht speziellen Umständen entstanden ist. Verantwortlich für den Film war nämlich die „Staatliche Filmdokumentation“ (SFD), ein Produktionsbereich, der ausdrücklich fürs Archiv herstellte. Ziel war es, das ungeschminkte Antlitz der DDR einzufangen, um es, gleich einer Zeitkapsel, späteren Generationen zugänglich zu machen. Die Filme der SFD sind ungewöhnlich offen, frei von Propaganda und verzichten weitestgehend auf dramaturgische Effekte (obgleich es sehr wohl eine bestimmte Ästhetik gibt). Sie sind gewissermaßen nackt. „Berlin Milieu – Ackerstraße“ begegnet nun einigen Bewohnern der Ackerstraße, die in unmittelbarer Mauernähe leben und sich einem Schwall „aller möglichen Schimpfworte, die man sich denken kann“, ausgesetzt sehen. Ausgangspunkt: ein Besucher-Treppchen auf der Westseite.
In Kontakt mit einem solchen Treppchen kommen auch die beiden Dokumentarfilmer Marilyn Levine und Ross McEllwee in „Something to Do with the Wall“ (USA 1991), dem dritten Film des Abends. Ihnen begegnen Aktivisten und US-amerikanische Love-Jesus-Touristen, Kinder, Skeptiker und Grenzsoldaten. „Something to Do with the Wall“ spielt zu einem Gros in den 80er Jahren, das Ende des geteilten Deutschlands und somit auch das der Mauer ist noch nicht abzusehen. Und in der Tat scheinen sich nicht Wenige mit der Existenz der Mauer durchaus arrangiert zu haben. Im Programmteil „Subkulturen im Grenzbereich“ (8. 11.) wird sie dann selbst zum Kunstobjekt. So verbrachte Ronald Steckel im Sommer 83 lange Wochen damit, die Mauer abzuschreiten und jedes geschriebene Fitzelchen zu notieren, was auf dieser „größten Wandzeitung der Welt“ zu lesen war. Das von Wolfgang Neuss eingesprochene Audiostück wird im Foyer des Zeughauskino zu hören sein.
Zeitgleich im Saal: „Berlin DDR Hintergrund“ (S 1985), ein von Björn Cederberg für das schwedische Fernsehen produzierter Film, welcher der Ost-Berliner Subkultur im Prenzlauer Berg begegnet. Pikant: Die Aufnahmen übergab Cederberg Mittelsmann Sascha Anderson, von dessen Aktivitäten für die Stasi Cederberg zu diesem Zeitpunkt noch nichts wissen konnte. „Ich bin auch ein Berliner“ (DK 1990) von Jon Bang Carlsen porträtiert indessen einen jungen Aussteiger, der sich in einem Wohnwagen-Verschlag mit Gemüsebeet an der Mauer niedergelassen hat und nun von den steten Klopfgeräuschen der „Mauerspechte“ in den Wahnsinn getrieben wird. Sehenswert auch: „Vergangen, vergessen, vorüber“ (D 1994) von Jan Ralske und mit Bruno S., bekannt aus Werner Herzogs Film „Stroszek“ (1977). „Vergangen, vergessen, vorüber“ ist ein Spaziergang über die ideologischen Trümmerfelder Berlins nach dem Mauerfall. Klar wird: Die Mauer spricht in ihrer Abwesenheit weiter.

Text: Carolin Weidner

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ct&dig=2014%2F10%2F30%2Fa0020

Berliner Zeitung vom 30.10

DAS FLIEGENDE AUGE

Die längste Leinwand der Welt
über das Genre des „Mauerfilms“, in dem noch immer jede Menge Entdeckungen zu machen sind

Bisweilen glaubt man, die Berliner Mauer sei im Laufe ihrer nur 28-jährigen Geschichte zu Tode fotografiert worden. Und jeder Meter des „Dreckverbands“ (Wolf Biermann) müsse schon bis zum Überdruss über Bildschirme und Leinwände gegangen sein. Die aus aktuellem Anlass im Zeughaus-Kino anberaumte Filmreihe „Borderland“ zeigt nun, dass dies keineswegs der Fall ist. Noch immer gibt es unzählige, selten gezeigte oder vergessene filmische Dokumente, mit denen die innerdeutsche Grenze Berlins auf verblüffende Weise abgebildet und neu interpretiert wird. Der „Mauerfilm“ ist neben dem „Bergfilm“ und dem „Trümmerfilm“ inzwischen das dritte, originäre Filmgenre, das von Deutschland ausging und die Filmgeschichte bereichert hat. Die Mauer erweist sich im Rückblick als längste Leinwand der Welt, als gigantische Projektionsfläche nationaler und internationaler Befindlichkeiten. Zur Eröffnung der von Jan Henselder zusammengestellten Retrospektive läuft „Something to do with the Wall“ (USA 1991) von Ross McElwee und Marilyn Levine: ein angenehm unprätentiöser Essay, der fast beiläufig Stimmungen und Situationen entlang der Demarkationslinie einfängt, zuerst 1986 und dann noch einmal 1989. Die zeitliche Kluft zwischen den beiden Drehphasen zeugt von der Unberechenbarkeit historischer Ereignisse. Eine schöne Ergänzung zu dieser Geschichtsschreibung von unten stellt Marcel Ophüls ebenfalls mit zwei Zeitebenen arbeitender Film „November Days“ (Novembertage) dar. Ausgehend von unmittelbar nach dem 9. November 1989 entstandenen Fernsehbildern macht sich der Filmemacher ein Jahr später auf die Suche nach den damals aufgenommenen Personen und bringt sie erneut vor die Kamera. Neben DDR-Durchschnittsbürgern kommt eine ganze Reihe von berühmten Figuren zu Wort: Günter Schabowski, Egon Krenz, Markus Wolf, auch Stephan Hermlin und Heiner Müller. Der Film lebt von der Fallhöhe zwischen Prominenz und Normalität. Während die offiziellen „Personen der Zeitgeschichte“ meist mit Rechtfertigungen beschäftigt sind, reden die Leute von der Straße, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Zum Meisterwerk wird „November Days“ auch durch die Interviewtechnik von Marcel Ophüls. Er baut seinen Gesprächspartnern zunächst goldene Brücken, um sie dann knallhart mit ihren Widersprüchen zu konfrontieren. Hermlin bezeichnet sich als Kommunist, spricht aber dem Volk das Recht zur mehrheitlichen Entscheidung ab. Schabowski und Krenz bezichtigen sich gegenseitig der Inkompetenz. Heiner Müller schmaucht Zigarre.
Neben kurzen Propaganda- und Experimentalfilmen und mehreren langen Dokumentationen zum Thema werden auch zwei Spielfilme gezeigt. Beide waren nie regulär in deutschen Kinos zu sehen. „Possession“ (1981) des aus Polen nach Frankreich emigrierten Andrzej Zulawski zeigt West-Berlin als Horror-Kulisse, die buchstäblich Monstren des Kalten Kriegs gebiert. In Ken Loachs hierzulande unbekannt gebliebenem Frühwerk „Fatherland“ (Vaterland) spielt der 1976 in der DDR verhaftete und nach neun Monaten Haft in den Westen abgeschobene Songwriter Gerulf Pannach (1948-1998) quasi sich selbst. Seine Versuche, sich im westlichen Teil Berlins zurechtzufinden, münden in eine Reise nach England, wo er seinen Vater ausfindig zu machen hofft. Loach hat in diesen Film alle Tragödien der Linken eingearbeitet; er lässt uns ratlos darüber, ob Geschichte eine Gerechtigkeit kennt oder nicht.
Mit „Grenzdurchbruch 89″ schließlich zeigt die Filmreihe eine Kuriosität ersten Ranges. Als 1989 in Berlin die Mauer fiel, damit faktisch der „Tag X“ Wirklichkeit wurde, versagten offenbar sämtliche DDR-Instanzen. Nicht so das Armeefilmstudio der NVA! Ein kleines Team unter der Leitung von Mathias J. Blochwitz machte sich sofort an die Arbeit, um die Auflösung der eigenen Grundlagen zu dokumentieren. Ergebnis ist ein Protokoll des Untergangs, untermalt mit Wagner-Musik. Von ihm stammt der Ausspruch: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.“

Text: Claus Löser