DREHORT BERLIN

BRD 1986/1987, R: Helga Reidemeister, K: Lars-Peter Barthel, Mitwirkende: Mathilde Schulze, Anni Biskup, Waltraut Klätke, Wolfgang Klätke, Irene Bruder, Leopold Reidemeister, Andreas Scheel,Alex Harb, Lorenz Weber, Sissi, Jürgen Eger, Hans Möritz, M: Andi Brauer, S: Dörte Völz 113′

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DrehOrt Berlin Foto: Basis Film

Helga Reidemeisters Filmessay DrehOrt Berlin untersuchte Mitte der 1980er Jahre, wie die Menschen auf beiden Seiten der Mauer mit der Geschichte ihrer Stadt umgehen, wie sie die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs, der Teilung und des Kaltem Kriegs reflektieren und wie ihr Leben und Denken von diesen Ereignissen geprägt worden sind. Reidemeister hinterfragte Vorurteile dem jeweils Unbekannten auf der anderen Seite der Mauer gegenüber, im über die Jahre der Trennung fremd gewordenen Teil der Stadt, und sie versuchte aufzuspüren, was die Bewohner der geteilten Stadt trotzdem noch miteinander verband. Schließlich wollte sie in Bilder fassen, wie Kriegszerstörung und Teilungserfahrung die Stadt verändert und ihr neue Richtungen vorgegeben hatten. „DrehOrt ist mein subjektiver Blick zu Menschen in Berlin (West und DDR). […] Die Personen in DrehOrt Berlin sind für mich Herausforderung – quer durch Generationen, soziale Klassen, quer durch zwei gegensätzliche Gesellschaftssysteme – dem nachzuspüren, was an Erinnerung, Geschichtsverständnis und Alltagsperspektive in Ost und West lebendig ist.“ (Helga Reidemeister)


Transkript (Ausschnitt)
Jürgen Eger (Liedermacher)

Ich bewege mich dort, wo ich weiß, dass das was man mir abverlangt an Kompromiss noch ein Kompromiss ist und nicht Selbstaufgabe.

(…)

Und ich glaube, dass man, ich sage mal, eine unheimliche Geduld aufbringt mit den Umständen, mit denen man so lebt, ja. Ich habe es einfach, zum Beispiel wesentlich leichter als Leute die zehn Jahre früher geboren wurden, weil die Zeit in der ich Erwachsen wurde und angefangen hab politisch zu denken, die Zeit war, wo man sozusagen den Zeitpunkt, wo das alles mal so sein würde schon doch etwas weiter nach hinten geschoben hatte. Ja, also ich nicht mit dieser Illusion aufgewachsen bin, übernächstes Jahr ist der Kommunismus ausgebrochen oder so (…)

(…)

Aber ich habe kein grundlegendes zerstörerisches Problem mit dieser Gesellschaft. Also eines was mich zwingt, nach der großen Alternative für mich zu suchen. (…) Weißt du, ich habe also keine existenziellen Schwierigkeiten mit dem, wie es hier bei uns läuft. Das hat unter anderem damit zu tun, dass ich also, wenn du so willst Aufsteiger bin. Ich komme aus einer Arbeiter Familie. Ich bin derjenige, der von diesem System profitiert hat. Ich habe studiert, weil dieser Staat will, dass 60% Arbeiterkinder studieren. Ich hätte sonst nicht studiert. Von Hause aus bin ich nie in diese Richtung motiviert worden. Und ich möchte zum Beispiel nach Möglichkeit nicht in die Situation, sagen wir mal, des aufgestiegenen Arbeiterfunktionärs geraten, der vergessen hat, wo er herkam. Verstehst du? Ich erinnere mich einfach daran, warum stehe ich denn heute hier als Künstler und verdiene die große Knete?

(…)

Ich glaube schon, dass dieser Staat es sich leistet, ja, oder die Gesellschaft es sich leistet. Oder was man so (…) Leute relativ hoch zu bezahlen oder auch Leute relativ hoch zu bezahlen, die, sagen wir mal, ernsthafte Kritik an diesem Staat üben. Aber nicht, sagen wir mal Gegenposition, in diesem Sinne, das sich gegeneinander Bekämpfens oder so, ja? Sondern die Auffassung oder die Neukonstruktion ist eben die, dass man miteinander, sozusagen, im Clinch liegt für etwas Gemeinsames.

(…)

Vor ein paar Jahren war das, da hat der Erich Honecker irgendwann einmal gesagt: „Also bei uns ist im Prinzip alles möglich, es muss nur auf dem Boden des Sozialismus stattfinden.“, also auf künstlerischem Gebiet, ja? Und ich habe mich eigentlich immer bemüht das einfach ernst zu nehmen. Einfach zu sagen: „Na, wenn er das gesagt hat, wird’s schon stimmen.“ Nicht? Weißt du? Und für mich ist künstlerische Freiheit, dass ich in einen Jugendklub eingeladen werde, hingehen kann dort, kann Programm machen von ein und eine halbe Stunde, von dem nie jemand irgendeinen Text vorher gesehen hat oder gelesen hat. Für mich ist künstlerische Freiheit, dass ich in den Leuten die da sitzen nicht unbedingt einen Käufer sehen muss, ja? Der also nur unbedingt meine Platte kaufen muss, ja? Für mich ist künstlerische Freiheit, dass ich zum Beispiel nicht gezwungen bin, aufgrund irgendwelcher Marktmechanismen, irgendwelche Modewellen mitzumachen. So dass ich relativ unabhängig bin, durch mein relativ hohes Einkommen, in dem was ich künstlerisch machen will. Unbequem ist jemand auf alle Fälle sicherlich, wenn er Wahrheiten ausspricht, die er für sich als Wahrheiten gefunden hat, die vielleicht erst fünf Jahre später Lehrmeinung sind (…) oder zehn Jahre später.

(…)

Die Gratwanderung für mich, ja, besteht also, sagen wir mal hier, das ist so ein schmaler Grat auf dem man dabei wandelt und die Abgründe zeigen sich für mich, also hier rechts der Hofsänger, links der Dissident, ja? Also nicht in Systemkritker oder Nicht-Systemkritiker, damit kann ich nicht viel anfangen, ja? Aber seins zu sagen und auch produktiv sein dabei und das hiesig sein, ja, es benennen und sich reiben. Und da die beiden Dinge, wo es zwangsläufig aufhört mit dem sich reiben.

Transkript: Nino Selmikeit