SOMETHING TO DO WITH THE WALL

USA 1991, R: Marilyn Levine & Ross McElwee, K: Ross McElwee, 88′

1986 kommt der US-Dokumentarist Ross McElwee nach Berlin, um seinen Film Sherman’s March auf der Berlinale zu präsentieren. Fasziniert von der geteilten Stadt und der bunten Gemeinschaft aus Touristen, Grenzsoldaten und West-Berlinern beginnt er, zusammen mit seiner Frau Marilyn Levine, an einem filmischen Gruppenportrait über das Leben an der graffitiverzierten Mauer zu arbeiten. Zurück in den USA verzögern Familiengründung und der Beginn einer Lehrtätigkeit die Fertigstellung des Films. Als 1989 die Mauer fällt, beschließen die beiden, wieder nach Berlin zu kommen und die Dreharbeiten fortzusetzen. Einige der Protagonisten von damals können sie wieder ausfindig machen und dabei beobachten, wie sie sich mit den veränderten Lebensbedingungen arrangieren. Something to Do with the Wall ist eine Reflexion über die unvorhersehbaren Launen der Geschichte, die weit über die Grenzen einer konventionellen Dokumentation hinausgeht.


Anmerkungen mit Blick auf die Mauer

Im Februar 1986 gingen meine Freundin Marilyn Levine und ich zum ersten Mal nach Berlin. Ich war eingeladen Shermans Marsch beim Berliner Filmfestival vorzuführen und wir ertappten uns dann beim Versuch, so viele Filme wie möglich zu sehen, wobei wir andere Filmemacher trafen und einige großartige Parties besuchten. Das Nachtleben in Berlin war tatsächlich so elektrisch, wie wir immer gehört hatten und wir verbrachten eine wundervolle Zeit. Aber nach einer Woche wollten wir auf einmal etwas von der Stadt selbst sehen. Das Festival stellte uns ein Auto und einen Fahrer und jemand meinte, wir sollten auf jeden Fall die Berliner Mauer sehen. Die Mauer wurde 1961, in meiner Kindheit, aufgestellt und war das grundlegende Monument des Kalten Kriegs dieser Ära ­ ein Pulverfass zwischen den USA und Russland, welches die Möglichkeit eines nuklearen Armageddon für jeden damals Lebenden sehr realistisch erscheinen ließ. Seit ich in Berlin war, hatte ich nicht viel über die Mauer nachgedacht ­ ich war vom Filmfestival zu geblendet und abgelenkt ­ aber als ich sie dann zum ersten Mal durch die schneebedeckte Stadtlandschaft kriechen sah, mit ihren kreischend hellen Sprüh­Graffiti, war ich ziemlich erstaunt. Wie es wohl war neben diesem Ding zu leben, was ja viele Menschen offensichtlich taten? Sie war zum Elefant im Raum geworden, den jeder ignorieren wollte. Und der Elefant war schon seit fast einem viertel Jahrhundert da. In der Tat stand der 25. Jahrestag ihrer Bebauung im August bevor. Würde zur Jahresfeier irgendetwas passieren? So viele Menschen waren beim Versuch die Mauer zu erklimmen gestorben ­ erschossen von den kommunistischen Wachen Ostdeutschlands, als sie versuchten, nach West­Berlin zu fliehen. Würde es Proteste geben? Oder würde das Leben einfach so wie in den letzten 25 Jahren weitergehen. Mir schien, es ließe sich ein interessanter Film machen, wenn man eine einzelne Nachbarschaft entlang der Mauer auswählen und dort einen Monat vor der Jahresfeier filmen würde. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich dabei, einen Film in einer Kultur zu drehen, deren Sprache ich nicht kannte, aber indem ich den Checkpoint Charlie als Drehort auswählte, wo es amerikanische Bedienstete und Touristen gab, fühlte ich mich etwas mehr zuhause. Der Checkpoint war nicht nur ein Schnittpunkt zwischen Ost­ und West­Berlin, sondern auch zwischen deutscher und amerikanischer Kultur. Ich schnorrte mir genug Fördergelder zusammen, um im folgenden Juni nach Berlin zurückzukehren und Marilyn und ich haben sechs Wochen lang jeden Tag im Checkpoint Charlie­Areal der Mauer gefilmt. Nach den Feierlichkeiten im August kehrten wir in die USA zurück und begannen mit dem Schneiden. Viele andere Ereignisse drängten sich bald in unser persönliches Leben ­ genauer, unsere Entscheidung, zu heiraten, der Tod meines Vaters, die Geburt unseres ersten Kindes, mein Drehbeginn eines anderen Films und Lehrverpflichtungen. Wir hatten keine wirkliche Deadline um den Mauer­Film zu beenden und nachdem die Mauer offensichtlich nicht einfach verschwinden würde, arbeiteten wir über die nächsten zwei Jahre hinweg dann und wann an dem Film. Wie einer der Menschen die wir am Checkpoint Charlie interviewten gesagt hatte: „Ich hab gesehen, wie die Mauer vor 25 Jahren hochgezogen wurde und ich habe keinen Zweifel, dass sie auch in 25 Jahren noch da sein wird.“ Das war sicherlich das, was auch der Großteil der Welt im Bezug auf die Berliner Mauer und das nukleare Patt zwischen Russland und den USA fühlte. Aber als der sowjetische Premierminister Gorbatschow anfing, die Strenge des Kommunismus zu lockern und die Proteste in Ostdeutschlands zunahmen, wurde Marilyn und mir klar, dass wir den Film zu Ende bringen mussten, weil die Mauer plötzlich wieder ein Thema geworden war. Wir bannten drei Tage vor dem plötzlichen Abriss der Mauer durch Protestierende auf Film. Ich rief den Negativcutter an und sagte ihm, dass er das Negativ nicht schneiden solle. Zusammen mit unserem zehn Monate alten Sohn und meiner Schwiegermutter als Babysitter nahmen wir ein Flugzeug nach Berlin und filmten die Hochstimmung und Ängstlichkeit im Zuge des Falls der Mauer. Unsere Freunden in Boston hatten Spaß daran, einen Witz über uns zu erzählen:

Frage: Wer sind die einzigen drei Menschen in der Welt, die über den Fall der Mauer traurig sind?

Antwort: Der Führer der ostdeutschen kommunistischen Partei, Erich Honecker, Ross und Marilyn.

Aber tatsächlich waren wir begeistert, dass wir die Chance hatten dieses bedeutsame Ereignis zu filmen und als unerwarteten „Teil 2“ in den Film einzubauen, den wir dachten gemacht zu haben.

Ross McEllwee 2009

Übersetzung: Julia Schell