Sweet Wall

von Allan Kaprow

Mancherlei Kunst mit politischen Anspielungen versucht einen sozialen Wandel so direkt und so schnell als möglich hervorzubringen. Die Themen sind dabei oft plump und die moralischen Optionen offensichtlich.

Es gibt aber auch Beispiele, bei denen der politische Inhalt der Kunst in einer Metapher aufscheint, die auf ein bereits erwachtes Bewusstsein anspielt. Diese Art der Politik ist implizit und in komplexe Bezüge menschlicher und kultureller Bedeutung eingebettet. Allerdings nimmt auch diese Kunst an, einen positiven Effekt auf die Gesellschaft zu haben; sie beschreibt nur einfach nicht im Detail wie und wann.

Beide Arten von Kunst mögen für die Welt wertvoll sein, sie sprechen aber zwei sehr unterschiedliche Arten von Konsumenten an: den Aktivisten und den Intellektuellen. In ihren Extremen sind beide natürlich Klischees, aber es gibt tatsächlich intelligente Aktivisten und leidenschaftlich engagierte Intellektuelle. Der eine verpflichtet sich kurzfristigen Zielen, der andere den langfristigen.

Wenn man sechs Jahre zurück blickt, dann beinhaltete „Sweet Wall“ eine ironische Politik. Sie ist eine Parodie. Sie ist für eine kleine Gruppe an Kollegen gedacht, welche den Humor und die Traurigkeit des politischen Lebens wertschätzen können; sie ist für jene, die nicht politisch gleichgültig bleiben können aber wissen, dass mit jeder politischen Lösung auch mindestens zehn neue Probleme einhergehen.

„Sweet Wall“ existierte freistehend. Sie umfasste nichts, trennte niemanden. Sie wurde in einer verödeten Gegend nahe der Berliner Mauer gebaut. Die richtige Mauer hat sich gegen die Stadt abgegrenzt. „Sweet Wall“ wurde innerhalb von Stunden aufgebaut und dann spielerisch von ihren Erbauern abgerissen. Die Berliner Mauer wurde der Unbezwingbarkeit willen erbaut und wird so lange stehen, bis entweder ein Krieg oder der politische Akt einer folgenden Generation sie beseitigt. Die Steine der „Sweet Wall“ wurden mit frischem Brot und Marmelade zusammen gehalten (ein versteckter Hinweis auf die biblischen Israeliten), wohingegen jene der Berliner Mauer durch Zement verbunden waren.

Als Parodie stellte „Sweet Wall“ eine Idee über die Mauer dar. Die Berliner Mauer selbst war auch eine Idee: sie fasste in einem einzelnen mittelalterlichen Bild die ideologische Spaltung Europas zusammen. Sie beeinträchtigte aber auch direkt das Leben von mehr als drei Millionen Einwohnern, mindestens sechs Regierungen sowie unzähligen Nicht-Berlinern, die zu irgendeinem Zeitpunkt in das Leben dieser Stadt involviert waren.

Als Idee für eine Handvoll Menschen konnte „Sweet Wall“ ohne ernsthafte Konsequenzen im Geiste durchgespielt werden. Wie die Mauer mit ihrem Brot und Marmelade, konnten Symbole willkürlich produziert und ausradiert werden. Die Teilnehmenden konnten über den praktischen Wert dieser Freiheit für sich und andere nachdenken. Darin lag ihre Süße und Ironie. Das Ereignis wurde im November 1970 von der Galerie Rene Block gefördert.

Quelle: Allan Kaprow in Sweet Wall Testimonials, Galerie Rene Block 1976

SWEET WALL, BRD 1970, K: K.P. Brehmer, 4′ BetaSP am Samstag den 1.11.2014 um 18.00 Uhr