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VERGANGEN, VERGESSEN, VORÜBER

D 1994, R: Jan Ralske, K: Roger Heeremann & Matl Findel, 24′, 16mm

Spurensuche und Spurenbeseitigung in Groß-Berlin. Bruno S., Hinterhofsänger und Schauspieler, altbekannt aus Werner Herzogs Spielfilmen, führt uns durch die ideologischen Trümmerfelder Berlins. Eine Stadt frisst ihren eigenen Schwanz. Dabei verschwindet nicht nur die Heimat, sondern ganze Geschichten und Ideologien werden wegplaniert. Die Zukunft wird durch eine verlängerte Gegenwart ersetzt… was die Vergangenheit betrifft: alles wird vergessen. (Quelle: dffb)

am 8.11. um 21.00 Uhr im Zeughauskino

von Jan Ralske

Man kann den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 als „friedliche Revolution“ bezeichnen, man könnte ihn aber auch als Ergebnis des 80-jährigen Krieges gegen die Sowjet Union interpretieren. Für Bruno S., ein ausgestoßenes Heimkind, war der 9. November aus anderen Gründen ein schwarzer Tag: er sah die DDR als ungeliebtes Kind, ähnlich wie Heiner Müller die DDR mal beschrieben hat, als „ein Pflegeheim ehemaliger KZ-Insassen und Kommunisten“, das für eine neue Generation ausgedient hat. Im Jahr 1993, als dieser Film entstand, war Kritik an der Wiedervereinigung unerwünscht. Für viele hier lebenden Ausländer war der neue deutsche (National)Stolz etwas beunruhigend; ein Tag, an dem sich die Deutschen vor Freude in die Armen fielen, war nie ein guter Tag für die Weltgeschichte. Bruno S., der ewige Außenseiter, Künstler, Musiker und Schauspieler hatte auch einen sehr kritischen Blick auf die jüngste deutsche Geschichte. Und so wurden wir uns schnell einig, darüber gemeinsam einen Film zu machen. Die einzige Bedingung von Bruno war, dass auch ich vor die Kamera treten musste, denn inzwischen hatte Bruno wenig Vertrauen zu „Filmleuten“. Inspiration für die Form des Films fand ich in Pasolinis “ Uccelacci e uccelini „: eine Expedition eines Lehrer-Studenten-Paares zur Erkundung der gesellschaftspolitischen Frontlinien. Das noch vorhandene Niemandsland in Berlin wurde zu unserer Heimat. Es war atemberaubend, wie schnell sich alles veränderte, wie schnell die Geschichte ausradiert wurde; der große Lenin am Leninplatz wurde zu einem Haufen Steine am „Platz der Vereinten Nationen“, der Palast der Republik wurde gesperrt und später abgerissen, dutzende Straßen umbenannt. In dieser Landschaft versuchten wir, mit Bruno als Wegweiser, eine Logik, ein Muster in den Ereignissen zu erkennen.

Rabe: Würde es dir denn Spaß machen, genauso zu reden wie die anderen, dieselben Kleider zu tragen, dasselbe zu essen und dasselbe Auto zu fahren?

Ninetto: Na sicher! Bin ich blöder als die anderen?

Uccelacci e uccelini, Pier Paolo Pasolini, 1967

Als der Film fertig war, wurde er fast ausschließlich zu Festivals im Ausland eingeladen. Im vereinten Deutschland dagegen passte der Film nicht ins (Selbst)Bild. Nun ist er ein historisches Dokument geworden, vom unbebauten Potsdamer Platz und vom Traum(a) eines „Neuen Deutschland“. Und auch Bruno gibt es nicht mehr.

© Jan Ralske, Juli 2014.

MAKING OF HAMMER & SICHEL

von Walter Gramming

Der Film H&S entstand vom November bis Februar 1978’79. Während einer Italienreise im Sommer zuvor begegnete mir das Symbol Hammer und Sichel zwar im politischen Kontext jedoch subjektiv als die Mahnung aktiv zu handeln. (Ich machte dort Interviews mit freien Radiogruppen) In einem Traum wurde ich aufgefordert, meine vor mir auf einem Teller liegenden Hände zu verspeisen. Daraus wurde ein ambivalentes Gebot: Handeln oder Versagen. Im sehr politischen Bologna begegnete mir das Wort CIAO als Graffiti mit den Buchstaben in Form linker politischer Symbole. Tschau! Absage an die Ideologien und Ismen der 70er Jahre. Im Berlin des kalten Krieges begannen spontane Aktionen im Zusammenhang mit der Mauer. Man entdeckte sie als blanke Fläche für alle Arten von Projektionen, noch lange bevor sie zum Malgrund wurde. In der Filmklasse Helmut Middendorf an der HdK nahmen wir eine Super8 Kamera in die Hand und in einem kleinen Eisenwarenladen in Kreuzberg kaufte ich eine Sichel, „ jetz’ brauch’n se bloß noch’n Hamma …“ meinte der freundliche Händler. Yanna Yo an der Kamera begann nun mit rasendem Zeigefinger die Einzelbilder zu schalten, wodurch die Bewegungen bizarrer wurden, während ich meine Verrenkungen mit den Werkzeugen vollführte. Beim Schnitt des Filmes ging ich schließlich mit Nadeln, Kreiden, Sandpapier und Abreibebuchstaben zu Werke. Dies alles war nun Handeln in seiner schönsten Form für mich. Bei unserem WG-Plattenspieler entfernte ich den Treibriemen und scratchte zuletzt das „Solidaritätslied“ von Ernst Busch mit viel Genuss an der Dekonstruktion. Im damals kleinen Kino Arsenal in der Welser Straße war ein Super8 Festival angekündigt. Der Kurator Michael Bock zeigte den Film spontan. Aus dem Publikum begegneten mir Lachsalven aber auch Anfeindungen – wegen Schändens der Heiligen Kuh. Kurz darauf nahm Michael Bock den Streifen mit in die halbe Welt und er lief mal eben neben Filmen von Beuys, Warhol und anderen Berühmtheiten.

© Walter Gramming, im Juli 2014

GRENZDURCHBRUCH ’89

von Mathias J. Blochwitz

Aus dem Süden kommend, wo ich Premiere mit einer Kabarett-Inszenierung hatte, war die Rückreise nach Berlin durch Barrikaden auf der Autobahn nur über die Landstraßen möglich. Das war die Grundsituation in der ersten Novemberwoche 1989. Angekommen in Berlin erlebte ich die Geschehnisse auf der Ostseite der Berliner Mauer. Ich wollte unbedingt etwas machen, aber eigentlich wusste ich nicht – was! Wichtig war für mich, ich wusste, was ich NICHT machen wollte – Mauerbilder, Mauerspechte etc. Diese Bilder waren logischerweise den TV-Leuten mit ihrer komplexen Operativität und Aktualität vorbehalten. An einem Abend traf ich zwei Soldaten der Grenztruppen der DDR – und ich fragte Sie, ob ihre Kalaschnikow geladen sei – „Ja“ – und, was sie denn hier so machen. „Eigentlich nischt – wir warten auf das Schichtende, auf den Feierabend“ –„ Was gibt es für Befehle?“ – „KEINE!“ Da wusste ich – das ist meine Geschichte! 19, 20 jährige Angehörige der Grenztruppen mit scharf geladenen Waffen – ohne Befehle – ohne eine Fürsorge durch die Vorgesetzten. Eigentlich hilflos! Wir waren dann immer ohne Sonder-Genehmigung, ohne irgendein Papier oder was auch immer – dicht bei den Soldaten. Sie haben uns geholfen, als Erste unter den 29 Jahre verschlossenen S-Bahnhof Potsdamer Platz zu kommen oder auch auf das Brandenburger Tor. Einmal wollte unser Kameramann auf der Mauer sitzen und drehen, aber es fehlte eine Leiter auf der Ostseite. Eine Stimme aus Neukölln auf der Westseite sagt: „Wir haben eine Leiter“ – und so sind diese Bilder zwischen Treptow und Neukölln entstanden. Nina Ruge, damals Moderatorin bei RIAS TV, die ich zufällig kennenlernte sorgte dann dafür, dass der Film seine Weltpremiere im „Westfernsehen“ erlebt hat. 2009 erhielt der Film auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival in Warschau einen Preis.

BERLIN ZUR ZEIT DER MAUER – DIE BERLINER MAUER IM FILM

von Jan Henselder

Vom Amateurfilm über den subversiven Künstlerfilm bis hin zum Dokumentar-, Propaganda- und Spielfilm: in der Darstellung (oder auch der Nichtdarstellung) der Mauer spiegelten sich stets auch die jeweils aktuellen politischen, kulturellen und sozialen Befindlichkeiten wider. Die Spannbreite der Transformationen und Deutungen, die das Bauwerk und der geografische Ort dabei im Laufe der Jahre durchlaufen haben, sind immens: Mahnmal, antifaschistischer Schutzwall, Kunstobjekt, Todesstreifen und letztendlich „Beste Lage“.

Die Filmreihe BORDERLAND zeigt die Mauer nicht nur aus den unterschiedlichsten Perspektiven, sondern lässt auch das Lebensgefühl im Berlin zur Zeit der Mauer wieder aufleben.

Begleitet wird die Filmreihe von einer Ausstellung im Kinofoyer mit Arbeiten von:
CLAIRE FRISTOTGERD CONRADT, GERD DANIGEL, HANS HAACKE, HARTMUT JAHN,
FRANZ JOHN,
AXEL ATTA MAIKATH, DETLEF MATTHES, STEFAN MICHEEL,

ULRIKE OTTINGEREINAR SCHLEEF, WERMKE/LEINKAUF, U.V.A..

Die Filmreihe BORDERLAND wird vom Hauptstadtkulturfonds gefördert und in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum durchgeführt.

KNUT HOFFMEISTER (HIMSELF)

Breschnew Rap Ausschnitt aus Fragment/Video ’83 am 8.11. um 21.00 im Zeughauskino

von Knut Hoffmeister

Ich hatte mir Aufkleber drucken lassen: Wir lassen uns unsere Mauer nicht nehmen und Nachts quer über den Potsdamer-Platz geschrieben: Mauern sind ein Superspass  1

Kippenberger’s Büro veranstaltete das „New York Narrative Filmfestival im SO36 mit Lydia Lunch & The Teenage Jesus and the Jerks“ So stand es dann auch auf der Mauer quer über den Potsdamer Platz. Jeden Tag quälten sich dort tausende von Autos entlang.
Die billigste Werbefläche der Welt„, meinte Kippy.

Es waren Super 8 Filme, von und mit Eric Mitchel, John Lurie, James Ahearn, Scott & Beth B., James Chance und anderen. Der gesamte New York City (creme-sahne) Underground. Ich habe mir diese Filme angeschaut und dachte Das kannst du auch – Mindestens!

„Alle Macht der Super 8“ 2

Ich kurvte also nachts mit meinem Taxi durch West-Berlin und sammelte Material für meinen ersten Film. Ohne Drehbuch, ohne Thema, bzw. mit einem einzigen Thema: Berlin, West-Berlin. Polizeiaufmärsche, Touristenströme, Truppenparaden, Punks und Demos, Videospiele und eingestürzte Neubauten verdichteten sich zu einem Potpourri der schlechten Laune. Konsequent stirbt John Wayne, die CDU fordert Frieden und Freiheit und die Kinder lachen.
So könnte die Beschreibung zu meinem ersten Film „Berlin Alamo (1979) „ lauten.

Unabhängig von einander hatten auch andere Berliner Künstler angefangen Super 8 Filme zu drehen. Axel Brand, Yana Yo, Christoph Doering, Dieter Hormel, Walter Gramming, u.v.a. . Wir kamen mit unseren Filmchen natürlich nicht ins Kino. Aber zum Glück gab es ja die Mauer.

Die billigste Leinwand der Welt.

Am Nachmittag des 12. August 1981 bereiteten wir, die Künstlergruppe U.V.A. eine Party zum 20. jährigen Jubiläum der Berliner Mauer vor. Strom gab uns Irene Mössinger, die am Potsdamer Platz gerade ihr Tempodrom-Zelt in den Matsch gesetzt hatte. Wir weissten die Mauer mit teurem Alpina-Weiss, bauten unsere Projektoren auf, und dann kamen die Briten. „Ob das denn verboten wäre, die Mauer anzumalen“, fragten wir die Militärpolizei. „It’s not our wall. We didn’t built it.“ Mit diesen Worten verabschiedeten sich die Soldaten. Wir zeigten unsere Filme und drehten die Musik lauter, Leute kamen hinzu, und wir kriegten tatsächlich so etwas wie eine „Mauerparty“ hin. 1986 zum 25. Jubiläum der Mauer haben wir das nochmal am Bethanien veranstaltet. Das war dann etwas professioneller vorbereitet und wir haben nicht mehr auf die Mauer, sondern Dank „Vorsprung durch Technik“ über den Todesstreifen hinweg auf eine Hauswand im Osten projiziert.

Siehe auch: ALLE MACHT DER SUPER 8, Berliner Undergroundfilmer stellen sich vor – Momentaufnahme der West-Berliner Subkultur 1978-1981 DVD KOMPILATION 

Super8 Log

  1.  Eigentlich wollte ich schreiben „Die Mauer ist ein Superspass“ aber es war Nacht, und ich dachte ich tue etwas wahnsinnig kriminelles, da habe ich mich in meiner Aufregung verschrieben.
  2.  Padeluun hat 1981 all die Filme eingesammelt und ist mit dem Slogan „Alle Macht der Super 8“, auf Deutschland-Tournee gegangen.

KATALOG

Der Katalog: Borderland – Audiovisuelle Quellen zur Berliner Mauer kann ab sofort gegen eine Schutzgebühr von 6,90 € (zzgl. Versand) per Mail an order@visualculturepress.com bestellt werden.

Die für diesen Katalog zusammengetragenen, künstlerischen Arbeiten, Artikel, Dokumente, Interviews und Annotationen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln und Zeiträumen sollen dazu beitragen, eine neue multiperspektivische Sichtweise auf die Darstellung der Mauer und die damit verbundenen Bedeutungsebenen zu vermitteln.

Mit Beiträgen von: Allan Kaprow, Andreas Kötzing, Axel Atta Maikath, Björn Cederberg, Bärbel Bohley, Claus Löser, Detlef Matthes, Einar Schleef, Florian Wüst, Franz John, Gerd Conradt, Gerd Danigel, Günter Agde, Hans Haacke, Hans Jaehner, Hans Ulrich Obrist, Hartmut Jahn, Helga Reidemeister, Jan Gympel, Jan Ralske, Joachim Wunderlich, Julia Schumacher, Knut Hoffmeister, Lutz Henke, M.J. Blochwitz, Marcel Ophüls, Rem Koolhaas, Ronald Steckel, Ross Mcelwee, Sabine Techel, Stephan Elsner, Stefan Micheel, Thomas Goldstrasz, Thomas Mauch, Ulrike Ottinger, Walter Gramming, Wermke/Leinkauf

96 Seiten, Farbe & sw
VISUAL CULTURE PRESS (2014)
ISBN-10: 3000473173
ISBN-13: 978-3000473173

Sweet Wall

von Allan Kaprow

Mancherlei Kunst mit politischen Anspielungen versucht einen sozialen Wandel so direkt und so schnell als möglich hervorzubringen. Die Themen sind dabei oft plump und die moralischen Optionen offensichtlich.

Es gibt aber auch Beispiele, bei denen der politische Inhalt der Kunst in einer Metapher aufscheint, die auf ein bereits erwachtes Bewusstsein anspielt. Diese Art der Politik ist implizit und in komplexe Bezüge menschlicher und kultureller Bedeutung eingebettet. Allerdings nimmt auch diese Kunst an, einen positiven Effekt auf die Gesellschaft zu haben; sie beschreibt nur einfach nicht im Detail wie und wann.

Beide Arten von Kunst mögen für die Welt wertvoll sein, sie sprechen aber zwei sehr unterschiedliche Arten von Konsumenten an: den Aktivisten und den Intellektuellen. In ihren Extremen sind beide natürlich Klischees, aber es gibt tatsächlich intelligente Aktivisten und leidenschaftlich engagierte Intellektuelle. Der eine verpflichtet sich kurzfristigen Zielen, der andere den langfristigen.

Wenn man sechs Jahre zurück blickt, dann beinhaltete „Sweet Wall“ eine ironische Politik. Sie ist eine Parodie. Sie ist für eine kleine Gruppe an Kollegen gedacht, welche den Humor und die Traurigkeit des politischen Lebens wertschätzen können; sie ist für jene, die nicht politisch gleichgültig bleiben können aber wissen, dass mit jeder politischen Lösung auch mindestens zehn neue Probleme einhergehen.

„Sweet Wall“ existierte freistehend. Sie umfasste nichts, trennte niemanden. Sie wurde in einer verödeten Gegend nahe der Berliner Mauer gebaut. Die richtige Mauer hat sich gegen die Stadt abgegrenzt. „Sweet Wall“ wurde innerhalb von Stunden aufgebaut und dann spielerisch von ihren Erbauern abgerissen. Die Berliner Mauer wurde der Unbezwingbarkeit willen erbaut und wird so lange stehen, bis entweder ein Krieg oder der politische Akt einer folgenden Generation sie beseitigt. Die Steine der „Sweet Wall“ wurden mit frischem Brot und Marmelade zusammen gehalten (ein versteckter Hinweis auf die biblischen Israeliten), wohingegen jene der Berliner Mauer durch Zement verbunden waren.

Als Parodie stellte „Sweet Wall“ eine Idee über die Mauer dar. Die Berliner Mauer selbst war auch eine Idee: sie fasste in einem einzelnen mittelalterlichen Bild die ideologische Spaltung Europas zusammen. Sie beeinträchtigte aber auch direkt das Leben von mehr als drei Millionen Einwohnern, mindestens sechs Regierungen sowie unzähligen Nicht-Berlinern, die zu irgendeinem Zeitpunkt in das Leben dieser Stadt involviert waren.

Als Idee für eine Handvoll Menschen konnte „Sweet Wall“ ohne ernsthafte Konsequenzen im Geiste durchgespielt werden. Wie die Mauer mit ihrem Brot und Marmelade, konnten Symbole willkürlich produziert und ausradiert werden. Die Teilnehmenden konnten über den praktischen Wert dieser Freiheit für sich und andere nachdenken. Darin lag ihre Süße und Ironie. Das Ereignis wurde im November 1970 von der Galerie Rene Block gefördert.

Quelle: Allan Kaprow in Sweet Wall Testimonials, Galerie Rene Block 1976

SWEET WALL, BRD 1970, K: K.P. Brehmer, 4′ BetaSP am Samstag den 1.11.2014 um 18.00 Uhr

Anmerkungen mit Blick auf die Mauer

Something to Do with the Wall am 31.10. um 20.00 Uhr im Zeughauskino

von Ross McElwee

Im Februar 1986 gingen meine Freundin Marilyn Levine und ich zum ersten Mal nach Berlin. Ich war eingeladen meinen Film Shermans March beim Berliner Filmfestival vorzuführen und wir ertappten uns dann beim Versuch, so viele Filme wie möglich zu sehen, wobei wir andere Filmemacher trafen und einige großartige Parties besuchten. Das Nachtleben in Berlin war tatsächlich so elektrisch, wie wir immer gehört hatten und wir verbrachten eine wundervolle Zeit. Aber nach einer Woche wollten wir auf einmal etwas von der Stadt selbst sehen. Das Festival stellte uns ein Auto und einen Fahrer und jemand meinte, wir sollten auf jeden Fall die Berliner Mauer sehen. Die Mauer wurde 1961, in meiner Kindheit, gebaut und war das grundlegende Monument des Kalten Kriegs dieser Ära – ein Pulverfass zwischen den USA und Russland, welches die Möglichkeit eines nuklearen Armageddon für jeden damals Lebenden sehr realistisch erscheinen ließ. Seit ich in Berlin war, hatte ich nicht viel über die Mauer nachgedacht – ich war vom Filmfestival zu geblendet und abgelenkt – aber als ich sie dann zum ersten Mal durch die schneebedeckte Stadtlandschaft kriechen sah, mit ihren kreischend hellen Graffiti, war ich ziemlich erstaunt. Wie es wohl war neben diesem Ding zu leben, was ja viele Menschen offensichtlich taten? Sie war zum Elefant im Raum geworden, den jeder ignorieren wollte. Und der Elefant war schon seit fast einem viertel Jahrhundert da. In der Tat stand der 25. Jahrestag ihrer Bebauung im August bevor. Würde zur Jahresfeier irgendetwas passieren? So viele Menschen waren beim Versuch die Mauer zu erklimmen gestorben – erschossen von den kommunistischen Wachen Ostdeutschlands, als sie versuchten, nach West-Berlin zu fliehen. Würde es Proteste geben? Oder würde das Leben einfach so wie in den letzten 25 Jahren weitergehen. Mir schien, es ließe sich ein interessanter Film machen, wenn man eine einzelne Nachbarschaft entlang der Mauer auswählen und dort einen Monat vor der Jahresfeier filmen würde. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich dabei, einen Film in einer Kultur zu drehen, deren Sprache ich nicht kannte, aber indem ich den Checkpoint Charlie als Drehort auswählte, wo es amerikanische Bedienstete und Touristen gab, fühlte ich mich etwas mehr zuhause. Der Checkpoint war nicht nur ein Schnittpunkt zwischen Ost- und West-Berlin, sondern auch zwischen deutscher und amerikanischer Kultur. Ich schnorrte mir genug Fördergelder zusammen, um im folgenden Juni nach Berlin zurückzukehren. Marilyn und ich haben dann sechs Wochen lang jeden Tag im Checkpoint Charlie-Areal der Mauer gefilmt.

Nach den Feierlichkeiten im August kehrten wir in die USA zurück und begannen mit dem Schneiden. Viele andere Ereignisse drängten sich bald in unser persönliches Leben – genauer, unsere Entscheidung, zu heiraten, der Tod meines Vaters, die Geburt unseres ersten Kindes, der Drehbeginn eines anderen Films und Lehrverpflichtungen. Wir hatten keine wirkliche Deadline um den Mauer-Film zu beenden und nachdem die Mauer offensichtlich nicht einfach verschwinden würde, arbeiteten wir über die nächsten zwei Jahre hinweg dann und wann an dem Film. Wie einer der Menschen die wir am Checkpoint Charlie interviewten gesagt hatte: „Ich hab gesehen, wie die Mauer vor 25 Jahren hochgezogen wurde und ich habe keinen Zweifel, dass sie auch in 25 Jahren noch da sein wird.“Das war sicherlich das, was auch der Großteil der Welt im Bezug auf die Berliner Mauer und das nukleare Patt zwischen Russland und den USA fühlte.

Aber als der sowjetische Premierminister Gorbatschow anfing, die Strenge des Kommunismus zu lockern und die Proteste in Ostdeutschlands zunahmen, wurde Marilyn und mir klar, dass wir den Film zu Ende bringen mussten, weil die Mauer plötzlich wieder ein Thema geworden war. Wir bannten drei Tage vor dem plötzlichen Abriss der Mauer durch Protestierende auf Film. Ich rief den Negativcutter an und sagte ihm, dass er das Negativ nicht schneiden solle. Zusammen mit unserem zehn Monate alten Sohn und meiner Schwiegermutter als Babysitter nahmen wir ein Flugzeug nach Berlin und filmten die Hochstimmung und Ängstlichkeit im Zuge des Falls der Mauer.
Unsere Freunden in Boston hatten Spaß daran, einen Witz über uns zu erzählen:

Frage: Wer sind die einzigen drei Menschen in der Welt, die über den Fall der Mauer traurig sind?
Antwort: Der Führer der ostdeutschen kommunistischen Partei, Erich Honecker, Ross und Marilyn.

Aber tatsächlich waren wir begeistert, dass wir die Chance hatten dieses bedeutsame Ereignis zu filmen und als unerwarteten „Teil 2“ in den Film einzubauen, den wir dachten gemacht zu haben.

Übersetzung: Julia Schell
Quelle: http://rossmcelwee.com/somethingtodowiththewall.html

Zur Entstehungsgeschichte des Films „Ein-Blick“

von Gerd Conradt

1955 bin ich von Thüringen nach West-Berlin gekommen. 1961 habe ich den Bau der Mauer erlebt. Hilflos sahen wir zu, wie mitten durch die Stadt eine Mauer gebaut wurde. In den Jahren davor war ich oft in Ostberlin gewesen – hatte alte und neue Freunde besucht, günstig Bücher und Lebensmittel eingekauft, war essen gegangen und zum Frisör, hatte meine Filme entwickeln und Fotos abziehen lassen – alles für den Umtausch von 1:5, eine Westmark für fünf Ostmark. Für uns Westberliner war die Mauer nicht so schlimm wie für die Menschen in der DDR. Wir konnten zwar nicht mehr nach Ostberlin oder ins Umland, aber doch in die weite Welt reisen, per Transit mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug. Wir richteten uns ein, die Stadt wurde subventioniert, jeder bekam zu seinem Lohn eine Berlinzulage. Viele, die nicht zum „Bund“ wollten, zogen nach West-Berlin. 1968 brodelte die Stadt – ich war mit dabei. Wir liefen mit roten Fahnen durch die Stadt, das erzürnte die Westberliner Bürger. Besucher führten wir selbstverständlich zur Mauer. Man stellte sich auf eine der Aussichtsplattformen, die es entlang der Mauer in West-Berlin gab und schaute mit Trauer und Mitgefühl hinüber zu den „Brüdern und Schwestern“ im anderen Teil der Stadt.

Zum 25. Jahrestag des Mauerbaus, im September 1986, wollte ich einen künstlerischen Beitrag leisten, einen Film drehen, der diesen absurden Zustand aufzeigen sollte. Bei meinen Spaziergängen entlang der Mauer hatte ich in Neukölln eine Situation entdeckt, die es in Berlin nur noch selten gab. Zwei sich gegenüber stehende Häuser wurden durch die mitten auf der Straße verlaufende Mauer getrennt. Ich fragte mich, wie das wohl sei, wenn man aus dem Fenster in eine Wohnung schaut, die in einem anderen Staat liegt – sozusagen über den „Eisernen Vorhang“ blickt und das Alltagsleben im sozialistischen Deutschland miterleben kann.

Ich hatte erfahren, dass Besucher maximal zehn Minuten auf einer Aussichtsplattform verweilten und von dort nach Ost-Berlin schauten. Aus dieser Beobachtung entstand die Idee, einen Zeitraffer-Film zu machen, der in zehn Minuten zwölf Stunden eines Tages zeigt. In dem Haus auf der Westseite suchte ich mir eine Wohnung, aus der ich – über die Mauer – zum Osthaus blicken konnte. Zwölf Stunden lang machte meine 35-mm-Filmkamera pro Sekunde ein Bild. Daraus ist der Film „Ein-Blick“ entstanden. Er hat eine Länge von zehn Minuten.

Zu unserer Freude schien an diesem Tag die Sonne. Die Bewohner des Osthauses und die Volkspolizisten aus dem Wachturm in unmittelbarer Nähe zu den beiden Häusern sahen die große Kamera und vermuteten, dass etwas Besonderes passieren würde. Die Menschen im Osthaus, die wahrscheinlich immer nur kurze Zeit auf dem Balkon sein durften, dachten sich Anlässe aus, um das vermutetet Ereignis miterleben zu können: sie pflanzten Blumen um, hängten Wäsche auf, legten Betten zum Lüften heraus, stellten einen Kinderwagen auf den Balkon, standen rauchend am offenen Fenster….. Es war wie in einem absurden Theaterstück. Die Volkspolizei war natürlich aufgeregt. Wir wurden beobachtet, fotografiert, sie telefonierten: „Hallo, hier ist der Gefreite Müller, ich sehe da oben in einem Haus in West-Berlin eine große Kamera! Was sollen wir tun?“ Offiziere kamen und gingen. Sie blickten ungläubig nach oben – zu unserer Kamera, die nichts weiter tat, als sie zu beobachten.

Der „Slapstick-Charakter“ des Films unterstreicht die Unwirklichkeit der Situation. Menschen rennen, Wolken fliegen, auf- und abschwellende Schatten dramatisieren das Geschehen. Die Mauer und ihre Bewacher erscheinen wie Figuren aus der populären DDR-Sendung Sandmännchen. Denn die Volksarmisten kommen tatsächlich mit dem „Trabbi“.

Der Film wurde zu einem einzigartigen Dokument, er zeigt und kommentiert durch seinen Stil eine historische Situation, die politisch, militärisch, ästhetisch einzigartigartig auf der Welt war, die nicht nur Berlin, sondern die Welt in zwei große Machtblöcke teilte.

Der Pianist Frederic Rzewski unterstreicht den aufklärerischen Charakter des Films durch seine von ihm gespielte Komposition nach dem Thema des Volksliedes „Die Gedanken sind frei“.

© Gerd Conradt 2014

Mauerfotos aus Ostberlin 

von Detlef Matthes

Westberlin, was ist das?, fragte ich mich immer wieder. Irgendwann bekam ich den Einfall mich in die Hochhäuser an der Leipziger Straße in Mitte zu wagen. Ich stieg in die Fahrstühle und fuhr in die obersten Stockwerke. Oben angekommen, entdeckte ich an der südlichen Stirnseite kleine Balkone, von denen man atemberaubende Blicke nach Westberlin hatte. Mit meiner EXA 1b verknipste ich einen Film nach dem anderen. Etwas entdeckt zu haben, dass von unten niemand so sehen kann, war erhebend und bedrückend zugleich. Ich konnte zwar weit nach Westberlin reinschauen doch gleichzeitig war dieses Westberlin unerreichbar weit entfernt. Ich wollte mehr von diesem unbekannten Westberlin sehen und wissen. Der Ostberlin-Tourist-Stadtplan ließ Westberlin nur als einfarbige Fläche mit ein paar unbenannten Straßenzügen und dem Schriftzug WESTBERLIN erscheinen. Es war ein weißer Fleck auf der Karte. Das machte es für mich nur noch interessanter hatte ich doch mit eigenen Augen gesehen, dass Westberlin keine einfarbige Fläche war. Während es in Westberlin ein Leichtes war direkt bis zur Mauer zu gelangen und sie zu fotografieren oder an ihr Performances abzuhalten, war es auf Ostberliner Seite gefährlich sich der Mauer zu nähern, geschweige denn, sie zu fotografieren. Das dies verboten war bekam ich dann auch vom Fotografen in Biesenthal, dem ich meine Filme zum entwickeln brachte, zu hören. Er meinte dass ich keine Fotos von Grenzsicherungsanlagen machen dürfe und händigte mir nur die entwickelten Negative ohne Abzüge aus. Ich musste also eine neue Möglichkeit finden wie ich künftig meine Filme entwickeln und vergrößern lassen konnte. Zuerst nahm ich die Hilfe eines Bekannten in Anspruch, der mir einige meiner Fotos bei sich entwickelte und vergrößerte. Doch schon bald wollte ich das selbst übernehmen. Als in meiner Berufsschule ein Fotokurs angeboten wurde nahm ich dieses Angebot an. Oft war ich allein im Fotolabor und sah meine Positive im Entwicklerbecken entstehen. Das waren aufregende und gleichzeitig kritische Momente, denn ich wußte ja nicht, wann der Laborleiter hineinkommen würde. An den Wochenenden fuhr ich nach Berlin und entdeckte immer wieder neue Mauerecken, an denen ich meine Fotos machen konnte.