Spurensuche und Spurenbeseitigung in Groß-Berlin. Bruno S., Hinterhofsänger und Schauspieler, altbekannt aus Werner Herzogs Spielfilmen, führt uns durch die ideologischen Trümmerfelder Berlins. Eine Stadt frisst ihren eigenen Schwanz. Dabei verschwindet nicht nur die Heimat, sondern ganze Geschichten und Ideologien werden wegplaniert. Die Zukunft wird durch eine verlängerte Gegenwart ersetzt… was die Vergangenheit betrifft: alles wird vergessen. (Quelle: dffb)
am 8.11. um 21.00 Uhr im Zeughauskino
von Jan Ralske
Man kann den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 als „friedliche Revolution“ bezeichnen, man könnte ihn aber auch als Ergebnis des 80-jährigen Krieges gegen die Sowjet Union interpretieren. Für Bruno S., ein ausgestoßenes Heimkind, war der 9. November aus anderen Gründen ein schwarzer Tag: er sah die DDR als ungeliebtes Kind, ähnlich wie Heiner Müller die DDR mal beschrieben hat, als „ein Pflegeheim ehemaliger KZ-Insassen und Kommunisten“, das für eine neue Generation ausgedient hat. Im Jahr 1993, als dieser Film entstand, war Kritik an der Wiedervereinigung unerwünscht. Für viele hier lebenden Ausländer war der neue deutsche (National)Stolz etwas beunruhigend; ein Tag, an dem sich die Deutschen vor Freude in die Armen fielen, war nie ein guter Tag für die Weltgeschichte. Bruno S., der ewige Außenseiter, Künstler, Musiker und Schauspieler hatte auch einen sehr kritischen Blick auf die jüngste deutsche Geschichte. Und so wurden wir uns schnell einig, darüber gemeinsam einen Film zu machen. Die einzige Bedingung von Bruno war, dass auch ich vor die Kamera treten musste, denn inzwischen hatte Bruno wenig Vertrauen zu „Filmleuten“. Inspiration für die Form des Films fand ich in Pasolinis “ Uccelacci e uccelini „: eine Expedition eines Lehrer-Studenten-Paares zur Erkundung der gesellschaftspolitischen Frontlinien. Das noch vorhandene Niemandsland in Berlin wurde zu unserer Heimat. Es war atemberaubend, wie schnell sich alles veränderte, wie schnell die Geschichte ausradiert wurde; der große Lenin am Leninplatz wurde zu einem Haufen Steine am „Platz der Vereinten Nationen“, der Palast der Republik wurde gesperrt und später abgerissen, dutzende Straßen umbenannt. In dieser Landschaft versuchten wir, mit Bruno als Wegweiser, eine Logik, ein Muster in den Ereignissen zu erkennen.
Rabe: Würde es dir denn Spaß machen, genauso zu reden wie die anderen, dieselben Kleider zu tragen, dasselbe zu essen und dasselbe Auto zu fahren?
Ninetto: Na sicher! Bin ich blöder als die anderen?
Uccelacci e uccelini, Pier Paolo Pasolini, 1967
Als der Film fertig war, wurde er fast ausschließlich zu Festivals im Ausland eingeladen. Im vereinten Deutschland dagegen passte der Film nicht ins (Selbst)Bild. Nun ist er ein historisches Dokument geworden, vom unbebauten Potsdamer Platz und vom Traum(a) eines „Neuen Deutschland“. Und auch Bruno gibt es nicht mehr.
© Jan Ralske, Juli 2014.